Objekt des Monats

Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.

Mai 2024

Informationsblatt über Johannesburg des Auswanderungsbüros Transa, 1974

Größe

21,2 cm x 10 cm (zusammengefaltet)
21,2 cm x 29,4 cm (auseinandergeklappt)  

Material

Papier

Schenkung

Familie Jasper-Möller

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Kurzbiographie

Dieses Informationsblatt eines sogenannten "Auswandererbüros" zeigt das Südafrika während der Apartheid in den frühen 1970er Jahren. Es ist eine aufstrebende Wirtschaftsmacht und ein Paradies für Einwander:innen aus Europa, die von internationalen Firmen als Fachkräfte angeworben werden. Mit dem Versprechen von Arbeit, Modernität und einem vielseitigen Freizeitangebot wird hier über eine potentielle Auswanderung nach Johannesburg informiert.

Das Unternehmen hinter dem Flyer, die Transa, wird 1952 von Werner Jasper-Möller in Johannesburg gegründet. Als der 1920 in der Nähe von Detmold geborene Tischler 1950 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft nach Deutschland zurückkehrt, zieht es ihn in die Ferne. Zu nah liegt ihm Russland, der Ort seiner Gefangenschaft, an der Bundesrepublik. Auf der Suche nach möglichst viel Distanz zwischen sich und der eigenen Vergangenheit, begibt sich Werner Jasper-Möller 1951 auf eine dreiwöchige Schiffsfahrt nach Kapstadt. Es ist ein Sprung in ein neues Leben, bei dem er sich verschuldet und mittellos in Südafrika mit vielen Entbehrungen neu beginnt. Ab 1952 hilft er anderen Deutschen, sowie Menschen aus der Schweiz und Österreich, bei der Auswanderung nach Südafrika. Das Land wirbt um Fachkräfte, während in Deutschland hohe Arbeitslosigkeit herrscht.

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So stellt sich schließlich der Erfolg des Auswanderungsbüros in den 1960er Jahren ein: Das Geschäft läuft so gut, dass Werner Japer-Möller 1965 zusätzlich ein Motel für die Auswanderer:innen eröffnet, das für Viele die erste Unterkunft im Land wird. Bis 1976 unterstützt sein Auswandererbüro rund 17.000 Menschen bei ihren ersten Schritten im neuen Leben. Mit den politischen Entwicklungen in Südafrika und den damit verbundenen Unruhen, die auch in Deutschland Aufmerksamkeit finden, lässt das Interesse an Südafrika als Auswanderungsziel nach. Werner Jasper-Möller entschließt sich zur Aufgabe der Transa und seine Familie kehrt 1976 nach Deutschland zurück. Er selbst pendelt noch 8 Jahre zwischen Deutschland und Südafrika, da sich der Verkauf des Motels als langwierig erweist.

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Historische Einordnung

Die südafrikanische Parlamentswahl vom 26. Mai 1948 bestimmt die Politik der nächsten vier Jahrzehnte maßgeblich: Sie markiert den Beginn der institutionalisierten Apartheid in Südafrika, die bis in die 1990er Jahre die Bevölkerung aufgrund ihrer Hautfarbe in verschiedene Kategorien einteilt. Ziel ist die strikte Trennung der weißen Minderheit von der nicht-weißen Mehrheit des Landes. Neben Schwarzen verschiedener ethnischer Hintergründe, leben auch Inder:innen und Menschen aus anderen ehemaligen britischen Kolonien in Südafrika, das selbst bis 1961 Teil des Commonwealth war.

Die rassistische Politik wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus. Nicht nur werden Ehen zwischen „Weißen“ und „Nicht-Weißen“ gesetzlich verboten und der schwarze Teil der Bevölkerung in eigens für sie ausgewiesene Stadt- und Landesteile zwangsumgesiedelt, die schwarze Mehrheit des Landes wird auch systematisch entrechtet und von höherer Bildung ausgeschlossen. Infolgedessen bildet sich ein großer Niedriglohnsektor, der für den Wirtschaftsboom der 1950er und 1960er Jahre mitverantwortlich ist. Durch die gute wirtschaftliche Situation wird das Land für Europäer:innen als Einwanderungsland besonders attraktiv.

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Das ändert sich in den 1970er Jahren: Politische Unruhen und internationale Sanktionen gegen das Apartheidsregime destabilisieren das Land. Nachdem Afrikaans, die Sprache der regierenden Minderheit, auch an schwarzen Schulen als Unterrichtssprache eingeführt werden soll, kommt es am 16. Juni 1976 in Soweto, einem schwarzen Vorort von Johannesburg, zu Schüler:innenprotesten. Die Polizei geht mit Waffengewalt gegen die Protestierenden vor, wobei mehrere hundert Schüler:innen erschossen werden. Eines der ersten und jüngsten Opfer der Schüsse der Polizei ist der zwölf jährige Hector Pieterson. Sein Foto, sterbend in den Armen eines älteren Mitschülers, löst weltweit Entsetzen aus und wird zum Symbol des Aufstands. Der Soweto-Aufstand gilt als Anfang vom Ende der Apartheid, die am 27. April 1994 mit den ersten freien Wahlen überwunden wird.

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Bedeutung des Objekts

Auf den ersten Blick gibt das Informationsblatt eine Perspektive in die Sehnsüchte auswanderwilliger Europäer:innen in den 1970er Jahren. Die Bilder helfen uns zu verstehen, wie sie sich Südafrika vorstellten und was sie erwarteten von einer Auswanderung ans andere Ende der Welt. Blickt man jedoch genauer hin und sieht sich die Menschen auf dem Flyer an, erzählt er die Geschichte der Ungleichheit in Südafrika. Denn die Lebensumstände, mit denen hier für die Einwanderung geworben wird, stehen nur einer Minderheit des Landes offen. Das Objekt zeichnet somit ein Bild von Südafrika, das mit der Lebensrealität des Großteils der Südafrikaner:innen dieser Jahre im krassen Kontrast steht.

Haben auch Sie …

… eine Aus- oder Einwanderungsgeschichte Ihrer Familie zu erzählen und möchten diese mit den dazugehörigen Objekten und Dokumenten dem Deutschen Auswandererhaus für seine Sammlung übergeben? Dann kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Fittkau unter der Rufnummer 0471 / 90 22 0 – 0

oder per E-Mail unter: t.fittkau@dah-bremerhaven.de

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