„Ich versuche, sehr objektiv zu bleiben."

Interview mit Jorge Noguera aus Eberswalde

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Jorge Noguera liegt Kuba sehr am Herzen. Das betont er beim Interview Ende Oktober gleich im ersten Satz. Er meldet sich vom brandenburgischen Eberswalde aus und ich sitze in einem kleinen Seminarraum am Deutschen Auswandererhaus vor meinem Laptop. Als ich das Interview führte, wurden nebenan schon die Räumlichkeiten für die neue Sonderausstellung vorbereitet, die Mitte November eröffnet wurde. Eigentlich war es angedacht, dass auch Jorge Noguera für die Sonderausstellung bezüglich seiner Lebens- und Wanderungserfahrungen zwischen Kuba und der DDR in persona interviewt wird, aber leider machte die Covid-19-Pandemie einen Strich durch die Rechnung. Deswegen holen wir ein paar Monate später das Interview auf digitalem Wege nach. Über seinen Youtube-Kanal ilovekuba sind wir auf Jorge Noguera aufmerksam geworden. Auf dem veröffentlicht er Videos zu Kuba und beleuchtet verschiedene Themen wie Tourismus, Kulinarik und den Alltag in Kuba. Im folgenden Gespräch lerne ich seine Lebensgeschichte kennen, erhalte Tipps für meine hypothetische Kubareise und wir unterhalten uns darüber, warum es ihm eine Herzensangelegenheit ist, in seinen Videos über Kuba zu informieren.

Jorge Noguera – im weiteren Verlauf nenne ich ihn Jorge – wurde 1984 in Eberswalde geboren. Sein Vater stammt aus Kuba und kommt Oktober 1979 als Arbeitsmigrant in die DDR. Seit 1978 gibt es bilaterale Abkommen zwischen den sozialistischen „Bruderländern“ Kuba und der DDR – Kuba bietet Arbeitskräfte und die DDR baut Fabriken auf der Karibikinsel. Auf diesem Weg kommt auch Jorges Vater in die DDR. 1985 läuft der Arbeitsvertrag von Jorges Vater aus und er muss zurück nach Kuba. Jorges Mutter, er selbst und eine Schwester reisen dem Vater nach Kuba hinterher. 1988 kehrt die Familie gemeinsam in die DDR zurück. Heute fliegt Jorge regelmäßig zum Urlaub nach Kuba, zuletzt im Februar 2023. Da Jorges Eltern seine Geburt auch in Kuba registriert haben, verfügt er neben dem deutschen roten, auch über den kubanischen blauen Pass.

Kindheit und Jugend in Eberswalde beschreibt Jorge als unauffällig, bis auf den Umstand, dass er zunächst Deutsch lernen musste, da er in Kuba mit Spanisch aufgewachsen ist. Auf die Frage hin, ob er in Kuba und Deutschland als Kubaner, Deutscher oder beides verortet wird, meint Jorge: „In Deutschland eher der Kubaner, in Kuba eher der Deutsche. Und irgendwann habe ich es dann aber auch abgehakt. Ich bin ich und so ist es halt.“ In Eberswalde habe es auch in den 90er Jahren noch eine kleine kubanische Gemeinschaft gegeben. Im Ort war der VEB Kranbau ansässig, wo zu DDR-Zeiten auch kubanische Arbeitsmigrant:innen beschäftigt waren. „Grade so nach der Wende sind viele Freunde, viele Kubaner, nach und nach bis in die 2000er rein, aus Eberswalde weggezogen in Richtung Berlin und hier in Eberswalde gibt es nur noch eine Handvoll Kubaner.“

Videolink (YouTube, 25 min): Kubaner in der DDR | Interview mit meinem Vater | ilovekuba

Um 2018 fasst er die Idee, seine Reiseerfahrungen mittels kurzer Videos auf Youtube mit Interessierten zu teilen. Zunächst stellt er auf seinem Blog grundlegende Informationen für Leute zusammen, die eine Reise nach Kuba planen. 2020 nutzt Jorge die Zeit im Lockdown, um seine Videos zu professionalisieren und mehr Material hochzuladen.

„Anfangs dachte ich auch ‚Ah ok, Thema Kuba, wie viele Videos kann man da erstellen?‘, aber irgendwie kommen immer wieder neue Themen.“

Jorge veröffentlicht seine Beiträge vorzugsweise im digitalen Raum über Youtube, da viele Menschen lieber kürzere Videos mit spezifischen Inhalten konsumieren, anstatt sich längere Texte durchzulesen.

Seine erfolgreichsten Videos stellen monatlich die aktuelle Lage in Kuba dar, rund um Wechselkurs, Einreisebestimmungen und Infrastruktur. Sie sind für Reisewillige in Deutschland, die sich auf ihren nächsten Urlaub vorbereiten. Wenn man während des Videos von starken Kursschwankungen, instabiler Stromversorgung und leeren Regalen in kubanischen Lebensmittelgeschäften hört, dämmert es einem, dass Kuba nicht automatisch den Vorstellungen vom romantisierten, leicht heruntergekommenen, aber sehr charmanten Idyll gleicht. Auf Kuba ist man arm, aber froh. So hört man es zumindest häufig in der westlichen Welt.

Kuba als beliebtes Reiseziel tut gut daran, dieses Bild aufrechtzuerhalten, immerhin macht der Tourismus über 10% des gesamten Bruttoinlandsprodukts aus. Jorge bestätigt, dass die Covid-19-Pandemie drastische Einschränkungen für die kubanische Gesellschaft mit sich gebracht hat: „Da waren monatelang die Flughäfen alle dicht, also kein Tourismus. Der Tourismus zählt zu den wichtigsten Einnahmequellen Kubas, da sind über mehrere Monate einfach die Einkommenszuflüsse stark reduziert worden.“ Viele Zuschauer:innen gucken Jorges Videos, da sie selbst eine Reise nach Kuba planen und seine Insider-Informationen sehr zu schätzen wissen. Reisetipps und Hinweise zu Kuba gibt es zwar im Internet verstreut, aber Jorge möchte auf seinem Kanal ein gebündeltes Angebot liefern. Die Zielgruppe seines Kanals kommt aus dem deutschsprachigen Raum, ist im Schnitt über Vierzig Jahre alt und besucht Kuba mehr als einmal.

Videolink (YouTube, 8:30 min): Aktuelle Lage in Kuba | Februar 2023 | Einreisebestimmung, Touristenkarte, Strom

Jorge meint, dass besonders aus der ehemaligen DDR Interesse an Kuba komme. Kuba war für viele DDR-Bürger:innen ein paradiesisches Versprechen von Exotik und Lebensfreude. Von einem Besuch der Karibikinsel konnten die meisten Menschen in der DDR nur träumen, zu restriktiv waren die Ausreisebeschränkungen. Nur sozialistische Musterbürger:innen durften nach Kuba reisen. Jorge bestätigt, dass Nostalgie eine wichtige Rolle für Kubas Selbstbild ausmacht: „Ja, wenn man an Kuba denkt, dann häufig auch an Havanna, Altstadt, alles so ein bisschen runtergekommen, aber irgendwo auch mit gehörigem Charme. Dort fahren die großen amerikanischen Autos rum, aber auch aus der UdSSR, Lada und Moskowitsch. Es ist eine Zeitreise und das ist spannend.“

Auch wenn Jorge in seinen Videos eine neutrale Haltung einnehmen möchte, sieht er die Auswirkungen der derzeitigen Situation Kubas auf die Bevölkerung, „Im Grunde genommen weiß jeder, der nach Kuba fliegt, dass die Wirtschaft vor Ort, also die Kubaner selbst, die verdienen kaum etwas. An jeder Ecke hört man Musik, man tanzt, man feiert und man kommt halt mit dem klar, was man hat. Wobei es auch immer besser sein könnte.“ Wenn Jorge selbst nach Kuba fährt, um Familienangehörige zu besuchen, kommt es ihm stets wie eine Entschleunigung seines Lebens vor, zumindest bevor seine Passion als digitaler Content Creator ihn auch im Urlaub zur Arbeit ruft.

Jorge ist kein akkreditierter Journalist, sondern filmt, produziert und veröffentlicht als Privatperson. Mit der kubanischen Regierung hat er keinerlei Probleme: „Ich versuche, wie gesagt, sehr objektiv zu bleiben. Das heißt, dass ich Polemik komplett außen vorlasse und versuche entsprechend neutral zu berichten. Ich hatte mittlerweile schon öfter Kontakt mit der kubanischen Botschaft bezüglich meiner Videos. Dort wurde explizit gesagt, sie finden die Videos gut“. So findet man auf Jorges Youtube-Kanal auch Videos, welche beispielsweise die Proteste der kubanischen Bevölkerung zeigen oder die verheerenden Folgen des Hurrikans Ian vom Herbst 2022 behandeln.

Der Fokus liegt jedoch auf Handreichungen und Tipps für deutsche Tourist:innen und Reiseberichten.

Videolink (YouTube, 12 min): Kuba Vlog #9 - Ein Tag in Santiago de Cuba la tierra caliente

Jorge spricht auch eine Empfehlung dafür aus, nach Kuba zu reisen: „Tourismus ist auf jeden Fall erwünscht. Die Kubaner sagen: ‚Bitte kommt her.‘ Die Kubaner verdienen einfach einiges mehr direkt mit dem Tourismus. Da muss man sich überlegen, dass der Monatslohn aktuell bei durchschnittlich 4000 Peso [ca. 33 Euro] liegt. Viele Kubaner, so war es halt auch vor Corona und der Pandemie, haben gar nicht ihre Profession umgesetzt. Viele sind ja hochstudiert, aber haben dann zum Beispiel in Havanna Kunst verkauft oder sind Taxi gefahren. Einfach deswegen, weil man an einem Tag im Tourismus so viel verdient, wie normalerweise in einem Monat. Und das ist eine Sache, wo viele Kubaner sagen: ‚Ok, wir brauchen den Tourismus.“ Er plädiert auch dafür, dass man lieber eine Individualreise antreten möge, anstatt ein All-Inclusive-Angebot zu buchen, um eine authentische Erfahrung mit Land und Leuten zu haben und Kuba abseits der bekannten Sehenswürdigkeiten kennenzulernen. So würden Gelder auch direkt bei den Kubaner:innen ankommen und diese in ihrem Alltag unterstützen.

Der persönliche Umgang mit beliebten Urlaubsdestinationen, die im globalen Süden liegen, wie es bei Kuba der Fall ist, führt zu schwierigen Fragen. Spricht man sich gegen eine Reise aus, da man keinen Elendstourismus betreiben möchte, fehlt es vielen Menschen vor Ort an Einkünften. Fliegt man hin, dann ignoriert man im schlimmsten Fall ein repressives Regime und sucht dort Erholung und Sonnenschein, wo die Bevölkerung an Aussichtslosigkeit verzweifelt.

Für Jorge Noguera ist Kuba eine Herzensangelegenheit, er fühlt eine Verbundenheit zu Land und Leuten. Entschließt man sich für eine Reise nach Kuba, dann bieten die Inhalte seiner Videos und Blogs eine gute Orientierung, um sich Kuba anzunähern.