Objekt des Monats
Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.
Dezember 2024
Arbeitsbuch, 1935
Größe | 14,9 x 10,6 cm |
Material | Papier |
Schenkung | Heinz Kühn |
Historische Einordnung
Die Stadt Poznań gehört seit der zweiten Teilung Polens 1793 durch Preußen, Österreich und Russland erst zu Preußen, ab 1871 dann auch zum neu gegründeten Deutschen Reich und heißt nun auf Deutsch Posen. Als Teil der reichsdeutschen “Germanisierungspolitik” wird unter anderem die polnische Sprache verboten und wirtschaftliche Möglichkeiten der polnischen Bevölkerung eingeschränkt.
Nach dem Ersten Weltkrieg entsteht ein neuer polnischer Staat. Die mehrheitlich polnische Bevölkerung der Region kämpft im sogenannten Großpolnischen Aufstand 1918/19 für die Eingliederung nach Polen und erringt einen militärischen Erfolg. Die deutsche Bevölkerung muss sich daraufhin entscheiden: entweder, sie nimmt die polnische Staatsangehörigkeit an oder verlässt das Gebiet. Zwischen 1919 und 1923 verlassen ca. 50 000 von 60 000 deutschsprachigen Bewohner:innen die Region Richtung Westen und verlieren ihr Eigentum.
Mit der Ankunft der Vertriebenen, hauptsächlich in ostdeutschen Gebieten, sind soziale, wirtschaftliche und politische Krisen verbunden, denn die Situation auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt ist angespannt und die Inflation verschärft die Lage zusätzlich.
Kurzbiographie
Kurt Kühn wird 1912 in Posen geborenen. Seine Eltern Hermann und Pauline Kühn verlassen die Stadt mit ihm 1919 Richtung Cottbus. Aufgrund der Wohnungsnot in Cottbus werden die Flüchtlinge aus dem Osten auf dem ehemaligen Militärflugplatz untergebracht. Ihr Leben in den Baracken ist zu der Zeit geprägt von Not und Elend. Kurt schließt 1931 bei den Städtischen Werken in Cottbus eine Lehre als Elektriker ab und ist dort zunächst beschäftigt, bevor er 1934 zum Arbeitsdienst einberufen wird. Die Elektrikerarbeiten in verschiedenen Betrieben, welche die Infrastruktur der Stadt mit Strom versorgen, bewahren ihn sowohl vor dem Fronteinsatz im Zweiten Weltkrieg als auch später vor der Deportation in die Sowjetunion. Kurt heiratet 1941. Er und seine Frau Charlotte werden Eltern eines Sohnes.
Bedeutung des Objekts
Das Arbeitsbuch von Kurt Kühn wird am 26. August 1935 vom Arbeitsamt Cottbus ausgestellt. Arbeitsbücher sind ab Mitte der 1930er im Deutschen Reich ein allgegenwärtiges Dokument, das neben den persönlichen Daten die berufliche Laufbahn festhält. Die in diesem Dokument erfassten Informationen zu Ausbildung und Berufserfahrung der Arbeitnehmer:innen dienen den Nationalsozialisten der gezielten Steuerung der Arbeitskräfte, um sie in relevante Bereiche der Kriegsvorbereitung einzusetzen. Die Arbeitenden müssen das Arbeitsbuch bei ihrer Arbeitsstelle hinterlegen und bei Kündigung seitens der Arbeitnehmer:innen kann es vom Arbeitgeber einbehalten werden, was es nahezu unmöglich macht einen neuen Job zu finden. Damit übernehmen die nationalsozialistischen Dienststellen die Verwaltung der Arbeitseinsätze und zerschlagen Arbeitnehmer:innenrechte.
Ein Foto der Familie Kühn vor ihrem Laden in Posen können Sie aktuell bis zum 05.Januar 2025 in der Sonderausstellung „Über die Grenze muss man nicht weit.“ Polnisch-deutsche Geschichten, 1871 bis heute sehen.
Haben auch Sie …
… eine Aus- oder Einwanderungsgeschichte Ihrer Familie zu erzählen und möchten diese mit den dazugehörigen Objekten und Dokumenten dem Deutschen Auswandererhaus für seine Sammlung übergeben? Dann kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Fittkau unter der Rufnummer 0471 / 90 22 0 – 0
oder per E-Mail unter: t.fittkau@dah-bremerhaven.de