Objekt des Monats
Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.
Dezember 2025
Brief, 1906
Größe | 27,1 x 22 cm |
Material | Papier |
Schenkung | Christoph Diehl |
Mit diesem Brief beruhigt Theodor Meynberg vom „St. Raphaels-Verein zum Schutze katholischer deutscher Auswanderer” den besorgten Vater des 15jährigen Christoph Diehl, der 1906 allein auswandert.
Kurzbiographie
Christoph Diehl wird 1891 in Sonnenberg, heute ein Ortsbezirk der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden, als Sohn eines Gärtners geboren. Später zieht die Familie nach Nieder-Mörlen um. Als Jugendlicher arbeitet Christoph als Balljunge auf dem Golfplatz in Bad Nauheim, und lernt dort 1906 den amerikanischen Industriellen Thomas Hayward kennen. Der Unternehmer interessiert sich sehr für Christophs Hobby, die Holzschnitzerei. Er begutachtet dessen Skizzen und Entwürfe, und sieht großes Potenzial in dem Fünfzehnjährigen. Kurzerhand beschließt der Industrielle, Christophs Förderung zu übernehmen. Er bietet dem jungen Künstler an, ihn zu sich nach Baltimore zu holen, ihm dort Arbeit zu geben und zudem den Besuch des Maryland Institute, einer Schule für Art und Design zu finanzieren. Christoph ist begeistert, und noch im gleichen Jahr macht er sich vom Hamburger Hafen aus auf die Reise in die USA. Doch in Amerika endet seine vielversprechende Künstler-Karriere 1908 abrupt: Christoph erkrankt überraschend an Typhus und verstirbt nach dreiwöchiger Krankheit.
Historische Einordnung
Auf Betreiben des aus Limburg stammenden Kaufmanns Peter Paul Cahensly erfolgt 1871 auf der Generalversammlung der deutschen Katholiken in Mainz die Gründung des "St. Raphaels-Verein zum Schutze katholischer deutscher Auswanderer". In allen großen europäischen Abfahrtshäfen entstehen Zweigstellen, später auch in den nord- und südamerikanischen Ankunftsorten. Der Verein baut ein Netzwerk von Vertrauensleuten auf, die die Auswandernden in den Hafenstädten beraten und unterstützen; er leistet politische Lobbyarbeit und setzt sich bei Behörden und Reedereien für eine Verbesserung der Reisebedingungen ein; er schickt Pfarrer mit auf die Schiffsreisen, um die seelsorgerische Betreuung an Bord sicherzustellen und knüpft Kontakte nach Übersee, damit die Auswandernden auch nach ihrer Ankunft in den Zielhäfen unterstützt werden. Als in den 1880er Jahren die Zahl der osteuropäischen Auswandernden ansteigt, weitet der St. Raphaels-Verein seine Tätigkeit auch auf die durchreisenden Katholik:innen aus.
Bedeutung des Objekts
Der St. Raphaels-Verein setzt in den Hafenstädten Vertrauensmänner ein, die sich um die eintreffenden Auswandernden kümmern: 1872 zunächst in Hamburg, 1873 in Bremen und bis 1877 auch in Amsterdam, Antwerpen, Rotterdam, Le Havre, Liverpool und London. Den Vertrauensmännern obliegen wichtige Aufgaben, sie holen beispielsweise Auswandernde von der Bahn ab, besorgen ihnen seriöse Unterkünfte, führen sie den katholischen Gottesdiensten zu, beraten und begleiten sie bei Einkäufen oder beim Wechseln von Geld und kümmern sich gegebenenfalls um Schiffsplätze. Darüber hinaus sind sie aber auch wichtige Kontaktpersonen für die zurückgebliebenen Familien. So informiert Theodor Meynberg, der Vertrauensmann in Hamburg, Christoph Diehls Familie per Postkarte darüber, dass dieser an Bord der „Amerika“ am 20. Oktober in New York angekommen sei. Eine Woche später beantwortet der Vertrauensmann einen darauf eingehenden Brief von Christophs Vater, und kann unter anderem dessen Sorgen bezüglich des Aufenthaltes seines Sohnes in Hamburg, seiner Überfahrt, und der Finanzierung beruhigen: Christoph habe sich bezahlte Arbeit in den Auswandererhallen gesucht, die lediglich aus kleineren Hilfsarbeiten bestanden habe, ihn jedoch vom Kostgeld befreiten und ihm so ermöglichten, Geld zu sparen. Auch auf der Überfahrt habe der Sohn „keinen Pfennig zubezahlt“ und verfüge über ausreichend Geld für New York. Den Raphaelsverein in New York habe Meynberg außerdem schriftlich über die Ankunft Christophs mit der Amerika informiert und um Abholung gebeten.
Haben auch Sie …
… eine Aus- oder Einwanderungsgeschichte Ihrer Familie zu erzählen und möchten diese mit den dazugehörigen Objekten und Dokumenten dem Deutschen Auswandererhaus für seine Sammlung übergeben? Dann kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Fittkau unter der Rufnummer 0471 / 90 22 0 – 0
oder per E-Mail unter: t.fittkau@dah-bremerhaven.de