Objekt des Monats

Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.

Juli 2021

Collage aus den 1980er Jahren

Material

Farbe auf Papier

Maße

29,7 cm x 21 cm

Schenkung

Fruttuoso Piccolo

Collage-COPYRIGHT-Sammlung-Deutsches-Auswandererhaus

© Sammlung Deutsches Auswandererhaus

Historische Einordnung

Der Neubau des Deutschen Auswandererhauses thematisiert zunehmend auch das Einwanderungsland Deutschland. Diese Auffassung von Deutschland sich als Einwanderungsland anzuerkennen entwickelte sich jedoch erst in den letzten Jahrzehnten. Das Objekt des Monats Juli thematisiert diese Problematik.

Der wirtschaftliche Aufschwung des Nachkriegsdeutschlands führte dazu, dass der Bedarf an Arbeitskräften immer mehr anstieg. Deshalb unterzeichnet Deutschland mit Italien im Dezember 1955 erstmalig ein sogenanntes „Anwerbeabkommen“. Mit insgesamt sieben anderen Ländern wurden solche Abkommen in den darauffolgenden Jahren geschlossen. Die Zahl der ausländischen Beschäftigten stieg immer mehr an: waren es 1960 noch 280.000 Arbeitende, so waren es 1973 schon 2,6 Millionen Beschäftigte aus dem Ausland. 1965, zehn Jahre nach dem ersten Anwerbeabkommen, verabschiedete die deutsche Regierung das Ausländergesetz - Ausländer:innen sollten demnach eine Aufenthaltsgenehmigung erwerben. Deutschland verstand ausländische Arbeitende als "Gastarbeiter:innen" und hoffte darauf, dass sie in ihr Heimatland zurückkehren würden – viele von ihnen bleiben jedoch. Sie gründeten dort eine Familie oder holten ihre Familienmitglieder in ihre neue Heimat. 1973 kam es deshalb zum Anwerbestopp und zu restriktiveren Einwanderungsregelungen - und weiterhin zur Verweigerung der Politik, Deutschland als Einwanderungsland zu sehen.

„Nun, ich Mensch war neunzehn Jahre alt, voller Lust aufs Leben und begierig, Menschen kennen zu lernen. Nach nur zwölf Tagen Aufenthalt hatte ich meine erste Arbeit als Arbeiter in einer Möbeltransportkolonne. Eine Gruppe von zwei Türken (die kein Deutsch sprachen), einem Vorarbeiter (ein alter Mann aus Polen) und einem deutschen Chef. Er gab uns die Arbeitsanweisungen. Ich unterschrieb meinen ersten deutschen Arbeitsvertrag am 30. August 1972. Von dem Inhalt verstand ich nicht viel.“ (Fruttuoso Piccolo, Ein Fach Mao Dich Tung) 

Kurzbiographie Fruttuoso Piccolo

1972 wandert der 19-jährige Fruttuoso Piccolo als "Gastarbeiter" aus Italien nach Hannover ein. Sein Bruder, der bereits sechs Jahre zuvor seine Heimat verlassen hat, kam dafür extra nach Italien zurück und begleitete ihn auf seiner Reise. Fruttuoso arbeitete hier bis 1979 als Hilfsarbeiter. Seine Erfahrungen als Einwanderer mit der deutschen Sprache und mit Deutschland als Aufnahmegesellschaft lässt er in seine Werke aus Sprache, Kunst und Literatur einfließen. Diese sind Mischformen aus Poesie, Literatur, Collagen, Kunst und Fotografie und haben meist politische Bedeutung. Seit den 1980er Jahren nimmt Fruttuoso Piccolo an vielen Kunstprojekten und unterschiedlichen Ausstellungen in Deutschland teil, teilweise auch als Leiter. Heute lebt er zurückgezogen in Niedersachsen mit seiner Familie.

Bedeutung des Objekts

„Sie riefen Arbeiter und es kamen Menschen.“

In der Politik herrschte das Verständnis vor, dass Arbeitende nach einem oder wenigen Jahren in ihre „Heimat“ zurückkehren würden, sodass es wenige Versuche gab diese zu integrieren. Doch viele ausländische Arbeitskräfte und Einwander:innen verstehen die deutsche Sprache bei ihrer Ankunft in Deutschland noch nicht – so auch Fruttuoso Piccolo. Gleichzeitig wurde von ihnen erwartet, dass sie mit den Inhalten des Ausländergesetzes vertraut waren. Dieser Widerspruch wird in der simplen aber aussagekräftigen Collage von Herrn Piccolo thematisiert. Hier ist eine Feder in den Farben Schwarz, Rot und Gold zu erkennen, die am unteren Rand der Collage das Wort „AUSLÄNDERGESETZ“ verfasst hat. Das Objekt diesen Monats verdeutlicht die politische und gesellschaftliche Position Deutschlands im 20. Jahrhundert gegenüber Einwander:innen, die auch Piccolo erfahren hat.

Andere Collagen Piccolos sowie große Teile seiner Schenkung befinden sich im neu konzipierten Ausstellungskomplex zu 330 Jahren Einwanderung nach Deutschland, der am 26. Juni 2021 feierlich eröffnet wurde.

Haben auch Sie …

… eine Aus- oder Einwanderungsgeschichte Ihrer Familie zu erzählen und möchten diese mit den dazugehörigen Objekten und Dokumenten dem Deutschen Auswandererhaus für seine Sammlung übergeben? Dann kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Fittkau unter der Rufnummer 0471 / 90 22 0 – 0 oder per E-Mail unter: t.fittkau@dah-bremerhaven.de

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