Objekt des Monats

Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.

Juli 2023

Kaffeekanne 0,3 l von einem Schiff der Arosa-Line, um 1955

Größe

12,0 x 16,5 x 7,0 cm

Material

Metall (versilbert)

Schenkung

Dietmar Strate

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Historische Einordnung

Am 1. Juli feiert Kanada seinen Nationalfeiertag, den Canada Day. Die Straßen sind mit roten und weißen Flaggen geschmückt, Feuerwerke erhellen den Nachthimmel und überall auf der Welt feiern Kanadier:innen die Gründung des Staates Kanada. Mit dem Inkrafttreten des British North America Act (heute bekannt als Constitution Act) im Jahr 1867, erhält das Land eine eigene Verfassung, steht aber als Mitglied des Commonwealth unter der Herrschaft der britischen Krone. Von 1879 bis 1982 ist der Feiertag als Dominion Day bekannt, seit 1983 wird er dann als Canada Day zelebriert. Kanada zeichnet sich seit jeher durch seine von Migration geprägte Gesellschaft und seine positive Einstellung zu Einwanderung aus.

Laut einem Zensus aus dem Jahr 2021 leben 8,3 Millionen Migrant:innen in Kanada, womit sie etwa 23% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Die kanadische Migrationsgeschichte europäischer Prägung beginnt im 17. Jahrhundert, als französische Kolonisten an der Ostküste erste Siedlungen errichten. Im 18. Jahrhundert gelangen die vormals französischen Kolonien auf kanadischem Gebiet unter britische Vorherrschaft.

In der Provinz Nova Scotia befindet sich die älteste, von deutschstämmigen Siedler:innen gegründete kanadische Stadt, Lunenburg. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fliehen viele russlanddeutsche Mennoniten und Hutterer vor religiöser Verfolgung aus dem zaristischen Russland, vornehmlich in die Provinz Ontario. Migrant:innen deutscher Herkunft machen zu dieser Zeit lediglich 4% aller Einwanderungen aus. Während des 1. und 2. Weltkriegs reduziert sich die deutsche Migration nach Kanada drastisch. Kanada gehört im 2. Weltkrieg zu den alliierten Streitkräften und schränkt zunächst die Einreisemöglichkeiten für Deutsche ein.

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In den 1950er bis 1970er Jahren kommen über die Hälfte aller Migrant:innen aus Europa, darunter auch viele Deutsche, die im kriegsversehrten Deutschland keine Zukunft für sich sehen. Seit der Jahrtausendwende ist ein stetiger Zustrom aus dem asiatischen Raum und dem Mittleren Osten zu bemerken. Als häufigstes Geburtsland von nicht in Kanada geborenen Einwohner:innen wurde Großbritannien inzwischen durch China und Indien abgelöst.

Kanada gilt heute als Paradebeispiel für eine multiethnische und progressive Gesellschaft und ist besonders für Fachkräfte ein beliebtes Zielland. Allerdings ist auch die kanadische Migrationsgeschichte nicht frei von Diskriminierung und Rassismus. Besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfolgte man eine Einwanderungspolitik, die den europäischen Charakter des Landes (weiße Hautfarbe, christliche Religionszugehörigkeit, englische oder zumindest französische Sprache) erhalten sollte („Keep Canada White“).

Die indigene Bevölkerung Kanadas bewohnte das Land bereits lange, bevor die ersten Kolonist:innen aus Europa sich dort im Laufe des 17. Jahrhunderts niederließen. Viele Jahre litten die First Nations, wie diese Bevölkerungsgruppen genannt werden, unter der aggressiven Assimilierung (an die gesellschaftlichen Normen der europäischen Kolonist:innen) durch sogenannte residential schools und die Begrenzung auf Reservate.

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Kurzbiographie

Oskar Strate (*6.1.1920 in Bremen, †1970) absolviert in den 1930er Jahren seine Ausbildung beim Norddeutschen Lloyd, wohin er nach zweijähriger Kriegsgefangenschaft wieder  zurückkehrt. In den 1950er Jahren wechselt er dann zur kleineren Reederei Arosa Line, für die er als Geschäftsführer tätig ist. Seine Frau Margarete lernt er 1951 in Düsseldorf kennen, wo sie als Buchhalterin in einem Reisebüro des Norddeutschen Lloyd arbeitet. Die Arosa Line befördert Passagier:innen zwischen Europa und Kanada, weshalb Oskar Strate von 1953 bis 1957 in Montreal lebt, sein Sohn Dietmar zieht für diese Zeit zu  seiner Großmutter in Deutschland. 1957 fährt die Familie Strate erster Klasse auf der Arosa Sun für einen mehrwöchigen Urlaub nach Amerika. An Bord wird die Familie Strate äußerst zuvorkommend behandelt, was den damals zehnjährigen Dietmar sehr beeindruckt hat. Oskar Strate wechselt Anfang der 1960er zur Reederei Home Line und arbeitet dort noch zwei Jahre.

2019 überreicht Dietmar Strate dem Deutschen Auswandererhaus eine Schenkung, in der sich, neben privaten Fotografien der Überfahrt nach Kanada, auch Bordgeschirr der Arosa Line befindet. Die gezeigte Kaffeekanne hat also schon so manche Seemeile zwischen Bremerhaven und Kanada hinter sich.

Bedeutung des Objekts

So schön diese kleine silberne Kaffeekanne, hergestellt von der Württembergischen Metallwarenfabrik WMF, mit ihren Art Déco-Elementen auch sein mag, für diesen Artikel von Bedeutung ist die Gravur Arosa Line. Sie ist ein expliziter Hinweis auf das eher unbekannte und kurzlebige Schifffahrtsunternehmen, bei dem Oskar Strate für einige Jahre gearbeitet hat. Gegründet vom Schweizer Finanzier Niccolo Rizzi, existierte die Arosa Line von 1952 bis 1958 . Rizzi benannte die Flotte nach dem schweizerischen Ferienort Arosa.

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Das Unternehmen lief zusätzlich unter dem Namen Compañia Internacional Transportadora und bereederte insgesamt vier Schiffe: die Arosa Kulm (1919), Arosa Star (1930), Arosa Sky (1944) und die Arosa Sun (1930). Alle vier Schiffe wurden von anderen Reedereien abgekauft und waren ausgeflaggt, d. h., sie fuhren nicht unter schweizerischer Flagge, sondern unter der Flagge Panamas oder Liberias, was finanzielle Vorteile mit sich brachte. Regelmäßig verkehrten die Schiffe auf transatlantischen Fahrten zwischen Quebec und Bremerhaven, liefen mitunter aber auch Häfen in Montreal, Southampton, New York, Le Havre oder Hamburg an. Die Arosa Line spezialisierte sich auf den Transport von Migrant:innen, Schüler:innen und allen Personen, für die eine Atlantiküberquerung bei den großen Reedereien zu teuer gewesen wäre. Viele Menschen, die in den 1950er Jahren ein neues Leben in Kanada wagen wollten, erreichten das Land an Bord eines der Schiffe der Arosa Line.

Nach 1957 nahm die Passagierzahl immer weiter ab und das Unternehmen weitete seine Routen auf Fahrten in die Karibik aus, was den Niedergang der Reederei jedoch nicht verhinderte. Rizzi sah sich zunächst gezwungen, die Arosa Sky zu verkaufen, schließlich ging die Reederei Arosa Line im Jahr 1959 offiziell bankrott. Die Arosa Star wurde gepfändet und sank 1970 vor der Küste Kaliforniens unter neuem Namen, die Arosa Kulm wurde bei Brügge verschrottet und die Arosa Sun, auf der auch Oskar Strate mit seiner Familie in den Amerikaurlaub fuhr, diente später als schwimmende Unterkunft für Arbeiter:innen in den Niederlanden. Ob die Kaffeekännchen dort noch in Benutzung waren, ist leider nicht bekannt.

Haben auch Sie …

… eine Aus- oder Einwanderungsgeschichte Ihrer Familie zu erzählen und möchten diese mit den dazugehörigen Objekten und Dokumenten dem Deutschen Auswandererhaus für seine Sammlung übergeben? Dann kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Fittkau unter der Rufnummer 0471 / 90 22 0 – 0

oder per E-Mail unter: t.fittkau@dah-bremerhaven.de

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