Objekt des Monats
Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.
Juni 2024
Gesangbuch, 1894
Größe | 23 x 15 x 5 cm |
Material | Papier, Papppe, Leder |
Schenkung | Marta Merkle |
Historische Einordnung
Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts kommt der Großteil der Auswander:innen, die Europa über Bremerhaven verlassen, nicht aus dem Deutschen Kaiserreich, sondern aus den östlichen Nachbarstaaten – aus dem Russländischen Zarenreich und aus Österreich-Ungarn. Zu letzteren gehört auch die Familie Strehársky.
Kurzbiographie
Juraj und Eva Strehársky leben in Lalit‘ in der Region Vojvodina, wo sie in den 1890er Jahren drei Kinder bekommen. Lalit´ liegt heute in Serbien, damals gehört es zum ungarischen Teil der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Die Familie Strehársky ist slowakisch und evangelisch. Die meisten Menschen, die in dem Dorf leben, sind entweder slowakisch oder serbisch, aber es gibt in der Nachbarschaft auch noch andere ethnische und religiöse Zugehörigkeiten.
Jozef Strehársky in den USA
Vom Gehalt der Eltern ist die fünfköpfige Familie schwer zu ernähren. Darum entschließt sich Vater Juraj, für einige Zeit in den USA Geld zu verdienen. Als er zurückkehrt, kann sich die Familie ein Grundstück kaufen und ein Haus bauen. Zwar hat die Familie nun eigenen Besitz, aber wohlhabend ist sie nicht. 1906 bzw. 1907 reisen erst der älteste Sohn Jozef und später auch seine Eltern (erneut) in die USA. Die beiden kleineren Geschwister bleiben zurück.
Bedeutung des Objekts
Familie Strehársky bringt dieses Gesangsbuch mit in die USA und nimmt es später wieder zurück nach Europa. Was die Arbeit mit Objekten im Museum so spannend macht, ist, dass Objekte wie dieses viele unterschiedliche Aspekte beleuchten und erklären können:
Das Buch ist im "Saal der Biographien I" in der DAH-Dauerausstellung zu besichtigen
Chronologisch am Anfang steht die Herkunftsgeschichte des Gesangsbuch. Es erzählt vom Zusammenleben unterschiedlicher ethnischer, sprachlicher und religiöser Gruppen im Habsburgerreich. Eine slowakische Familie kauft hier ein tschechisches Buch, weil es leichter verfügbar ist (und sich Tschechisch und Slowakisch stark ähneln).
Es folgt die Migrationsgeschichte des Buchs und der Eltern Strehársky: Das Buch dient dazu, in den USA den Kontakt zur eigenen Community aufrecht zu erhalten und damit Gottesdienste in der eigenen Sprach- und Religionsgemeinschaft feiern zu können.
Drittens ist das Liederbuch aber auch ein Beispiel dafür, dass die Vorstellung von Migration als einem Prozess, bei dem man von Punkt A startet, um für immer an Ort B zu bleiben, zu eindimensional ist. Die Strehárskys migrieren, um mit besseren materiellen Möglichkeiten an ihren Herkunftsort zurückkehren zu können. Für die Eltern wird sich dieses Vorhaben auch erfüllen, während sich der älteste Sohn Jozef entschließt, nach einer kurzen Rückkehr nach Lalit‘ erneut in den USA zu leben.
Gut 100 Jahre später hat das Objekt noch einen weiteren Migrationsbezug dazugewonnen: Marta Merkle, die Urenkelin von Juraj und Eva Strehársky, ist ihrerseits von Lalit‘ nach Deutschland eingewandert und lebt heute in Frankfurt am Main. Sie schenkte dem Deutschen Auswandererhaus das Gesangbuch. Im Museum erfüllt es nun zudem die Funktion, eine der Millionen Transitgeschichten aus dem östlichen Europa über Bremerhaven zu erzählen.
Haben auch Sie …
… eine Aus- oder Einwanderungsgeschichte Ihrer Familie zu erzählen und möchten diese mit den dazugehörigen Objekten und Dokumenten dem Deutschen Auswandererhaus für seine Sammlung übergeben? Dann kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Fittkau unter der Rufnummer 0471 / 90 22 0 – 0
oder per E-Mail unter: t.fittkau@dah-bremerhaven.de