Objekt des Monats

Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.

Mai 2020

Brief aus dem Jahr 1887

Material

Papier

Schenkung

Bernd Höser

Brief-01-COPYRIGHT-Sammlung-Deutsches-Auswandererhaus

Brief-02-COPYRIGHT-Sammlung-Deutsches-Auswandererhaus

Historische Einordnung

Am 1. Mai 1886 demonstrieren in Chicago 80.000 Arbeiter:innen für den Achtstundentag. Angefeuert werden sie vom deutschen Einwanderer August Spies in der Arbeiter-Zeitung:  

„Tapfer vorwärts! Der Kampf hat begonnen. (…) Arbeiter, eure Parole sei: keine Kompromisse! Feiglinge nach hinten! Männer an die Front! Die Würfel sind gefallen! Der erste Mai 1886, dessen geschichtliche Bedeutung man in späteren Jahren erst begreifen und würdigen wird, ist da.“

Die Chicago Mail warnt nervös vor „Unruhestiftern“ wie Spies, sie würden „Unfrieden und Krawall“ am 1. Mai auslösen. Die Zeitung scheint zunächst falsch zu liegen, denn es passiert nichts. Dann allerdings eskaliert die Lage zwischen Polizei und Demonstrierenden doch noch. Am 03. Mai erschießt die Polizei zwei streikende Arbeiter vor einer Erntemaschinenfabrik. Bei einer Demonstration gegen die Tötungen explodiert am 4. Mai auf dem Haymarket in Chicago eine Bombe, mehrere Polizisten sterben. Vor Gericht für die Bombe verantwortlich gemacht werden acht Angeklagte, darunter fünf deutsche Einwanderer. Einer ist August Spies, der Chef der Chicagoer Arbeiter-Zeitung. Keinem der Angeklagten ist eine Verbindung zu dem Bombenattentat nachzuweisen, aber ihnen wird vom Richter eine indirekte, agitatorische Verantwortung zugeschrieben. Alle bis auf einen Angeklagten werden zum Tode verurteilt. Am 1. Mai 1890 wird zum Gedenken an die Opfer des Haymarket Riot der erste „Kampftag der Arbeiterbewegung“ begangen.

Kurzbiographie Louis Schütz

Nach Newark und in ein Leben als Berufsmusiker zieht es 1880 Louis Schütz aus dem Dorf Westerfeld im Hochtaunus. Drei Jahre später holt er seinen jüngeren Bruder Fritz nach. Beide spielen als Blasmusiker erfolgreich über Jahrzehnte in „Voss’ First Regiment Band”, die aus einer Militärkapelle des amerikanischen Bürgerkrieges hervorgegangen ist. Die beiden Brüder und ihre Kinder musizieren aber nicht nur, sie schildern auch ihren Verwandten in Deutschland das Leben in den USA: Über 130 Briefe kommen so in Westerfeld an.

Bedeutung des Objekts 

Einer dieser Briefe beschreibt die Nachwirkungen des Chicagoer Haymarket Riot. Am 25. November 1887, also kurz nach Vollstreckung einiger Todesurteile, schildert Louis Schütz seiner Mutter, dass er wegen der Herkunft der Verurteilten einen schlechten Ruf für die deutsche Community befürchte:

„Das Hauptgesprächsthema hier in den letzten Wochen war die Hinrichtung der Chicagoer Anarchisten, ich weiß nicht ob Ihr es in Deutschland gelesen habt oder nicht. Es waren nämlich 7 Mann die Haupträdelsführer und Agitatoren der Anarchisten, darunter 5 Deutsche zum Tode verurteilt worden, weil sie durch Schriften u. Reden das Volk bei einer Arbeiter-Versammlung auf dem Haymarket in Chicago eine Dynamit Bombe gegen die Polizei zu schleudern, wodurch Polizisten getötet und 60 Personen verwundet wurden. Zwei von diesen Weltverbesserern wurden zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe begnadigt, einer beging am Tage vor der Hinrichtung Selbstmord, und die übrigen 4 wurden am 11. Nov. an einem Galgen zu gleicher Zeit gehenkt. Wie Ihr Euch nun denken könnt wurde viel darüber gesprochen und geschrieben, das Schlimmste von der Sache ist jedoch, es wirft einen bösen Schatten, auf die hier ansässigen friedliebenden Deutschen, indem die meisten unsere Landsleute waren.“

Allerdings war es langfristig nicht dieser Arbeiteraufstand, der dem Ruf der deutschen Communities geschadet hat, sondern eher das Wettrüsten des Deutschen Kaiserreiches und dann der Erste Weltkrieg.

Haben auch Sie …

… eine Aus- oder Einwanderungsgeschichte Ihrer Familie zu erzählen und möchten diese mit den dazugehörigen Objekten und Dokumenten dem Deutschen Auswandererhaus für seine Sammlung übergeben? Dann kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Fittkau unter der Rufnummer 0471 / 90 22 0 – 0 oder per E-Mail unter: t.fittkau@dah-bremerhaven.de

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