Objekt des Monats
Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.
Mai 2025
Tonaufnahme von 1968
Größe | 176 MB |
Material | M4A-Datei |
Schenkung | Elmar Winkler |
Historische Einordnung
Am 08./09. Mai dieses Jahres sind 80 Jahre vergangen, seitdem mit der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde in Berlin-Karlshorst der Zweite Weltkrieg (in Europa) offiziell beendet war. In den zwölf Jahren vor 1945 sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit rassistischer und nationalistischer NS-Propaganda aufgewachsen und davon geprägt worden – und die Prägung durch die Propaganda ist nicht automatisch mit dem Kriegsende verschwunden.
Ursula Winkler mit ihrem kleinen Bruder neben dem Vater in Wehrmachtsuniform
Kurzbiographie
Albert Winkler wird 1921 in Bremen-Blumenthal geboren. Als Jugendlicher lernt er den Beruf des Schriftsetzers. Kurz nach seiner Ausbildung beginnt der Zweite Weltkrieg. Albert wird mit 19 Jahren Marinesoldat in der 10. Schiffsstammabteilung der Wehrmacht. Als solcher kommt er im Februar 1943 in britische Gefangenschaft. Die Briten verschiffen Teile ihrer Kriegsgefangenen nach Kanada, so auch Albert Winkler. Er lebt bis 1946 mit tausenden anderen in einem Lager nahe Medicine Hat in Alberta, bevor er ein letztes Jahr Kriegsgefangenschaft in England verbringt.
Nach seiner Entlassung kehrt Albert 1947 nach Bremen-Blumenthal zurück und heiratet dort Ursula Krause. Anfang der 1950er Jahre wandert die Familie in das Land aus, in dem Albert Kriegsgefangener gewesen war und wo ihn die Freundlichkeit der Menschen beeindruckt hatte: Kanada.
1968 beschließt Alberts und Ursulas jugendlicher Sohn Elmar, seine Eltern und seinen 1934 geborenen Onkel Karl-Heinz für ein Schulprojekt zu befragen. Er möchte von ihnen wissen, wie sie als junge Leute die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg sowie die direkte Nachkriegszeit erlebt haben. Der technikbegeisterte junge Mann nimmt seine Interviews auf einem Tonbandgerät auf. Sein Geschichtslehrer Evans, ein kanadischer Weltkriegsveteran auf Seiten der Alliierten, gibt Elmar für das Interview, das die Sichtweise dreier Deutscher wiedergibt, allerdings eine schlechte Note. Rückblickend äußert Elmar Winkler dafür Verständnis.
Vater Albert mit den beiden Söhnen Gero und Elmar an Weihnachten in Kanada
Bedeutung des Objekts
Elmar Winklers Interviews mit Eltern und Onkel legen Zeugnis ab über die Erlebnisse dreier Jugendlicher bzw. junger Erwachsener während der NS-Zeit. Auch in Deutschland beginnen Jugendliche Ende der 1960er Jahre, ihren Eltern Fragen zu stellen: Was habt ihr in der NS-Zeit gemacht? Was war eure Verantwortung?Elmars Eltern hatten als Kinder den Eindruck bzw. glaubten auch nach dem Krieg noch an den Propaganda-Mythos, Hitler habe u. a. durch Autobahnen für ein wirtschaftlich starkes Deutschland gesorgt.
Daneben fragt Elmar nach Abläufen: Konnte sich der Vater selbst aussuchen, ob er zur Marine oder zu einem anderen Truppenteil geht? Warum hatte er sich für die Marine entschieden? Wie lief die Kriegsgefangenschaft ab?
Elmars Vater meldet sich freiwillig zur Wehrmacht, weil er sich so aussuchen darf, welchem Truppenteil er sich anschließt. Das macht er auch, weil sein Vater im Ersten Weltkrieg in der Artillerie gewesen und schreckliche Erfahrungen gemacht hatte.
Elmars Mutter Ursula berichtet über das Kriegsende und die erste Begegnung mit alliierten Soldaten:
„Uns wurde von den Deutschen erzählt, dass wir alle erschossen werden würden, wenn der Feind die Macht übernehmen würde. Als uns nun kanadische Soldaten sagten, wir sollen in den Keller gehen, dachten wir, das sei das Ende. Wir gingen runter, dachten, dass wir erschossen werden und dass das das Ende sei. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, ist das witzig, denn wir sind nun in dem Land, aus dem die kanadischen Soldaten kamen und wir denken nicht mehr so richtig an den Krieg.“
„We were told by the Germans that if the enemy ever takes over we would all be shot. Now when the Canadian soldiers told us to all go down into the basement we thought this was the end. We just went down, thought we would be shot and that is the end of it. Thinking back now it is kind of funny. We are now in the country where the Canadian soldiers came from and we really do not think too much about the war anymore.“
Jahrzehntelang liegt das Tonband auf Elmar Winklers Dachboden. Ermutigt unter anderem durch seine Frau Gina beschließt Elmar Winkler, sich noch einmal mit diesem Teil seiner Familiengeschichte zu beschäftigen. Die alten Tonaufnahmen digitalisiert er und beginnt, Details zu den historischen Abläufen zu recherchieren. Zusammen werden aus historischen Tondokumenten, Fotos und den Rechercheergebnissen vier kurze Filme über das Leben seiner Eltern und einer ihrer Jugendfreundinnen in Bremen. Diese wie auch die historischen Aufnahmen und weitere Objekte übergibt Elmar Winkler 2022 bei einer Europareise in die Sammlung des DAH.