Objekt des Monats

Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.

Oktober 2024

Orthopädische Schiene, ca. 1975

Größe

 ca. 37 x 10,2 x 9 cm

Material

Leder, Eisen (mit Schnürgurten und Polsterungen)

Schenkung

Günter Karkoska

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Historische Einordnung

Im August 1952 schließt Australien mit der Bundesrepublik ein Anwerbeabkommen und richtet ein begleitendes Programm zur Unterstützung von Migrationsvorhaben gemeinsam mit der Bundesrepublik ein. Für Australien steht die Wirtschaftspolitik im Mittelpunkt, da bereits seit den 1930er Jahren durch die schweren Verluste im Zweiten Weltkrieg die Bevölkerungszahlen drastisch sanken. So werden besonders junge männliche Facharbeiter von der Regierung benötigt und gesucht.

Das Programm gibt eine vorerst auf 2 Jahre beschränkte Aufenthaltsgenehmigung mit der Aussicht auf dauerhafte Aufnahme in Australien vor. Außerdem wird beispielsweise die Finanzierung für die Auswanderung, die sich viele Menschen Nachkriegsdeutschlands sonst nicht hätten leisten können, von beiden Staaten gestellt. Darüber hinaus wird ein Crashkurs in Englisch und zur australischen Landeskunde angeboten. Dies zielt auf eine rasche Assimilierung in die australische Gesellschaft ab. Prozentual sind es deutlich mehr deutsche Geflüchtete und Vertriebene als Menschen, die bereits vor dem Krieg im westlichen Gebiet lebten, die sich zur Auswanderung nach Down Under entschließen. Dies könnte darin begründet sein, dass sie sich in der Bundesrepublik noch nicht angekommen und vielleicht auch nicht willkommen fühlten.

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Kurzbiographie

Günter Karkoska wird am 05.11.1936 im ostpreußischen Millucken (Miłuki) in Masuren geboren. Hier wächst er mit Zwillingsbruder Karl-Heinz und weiteren Geschwistern auf dem elterlichen Hof auf. Im Winter 1944 flieht er gemeinsam mit seiner Familie vor der Kriegsfront zunächst nach Königsberg und weiter Richtung Westen. Günter Karkoska wird zunächst als geflüchtete Waise in einem Kinderheim in Oldenburg untergebracht. Nach einem bürokratischen Tauziehen um die Vormundschaft siedeln die Geschwister schließlich gemeinsam nach Castrop-Rauxel ins Ruhrgebiet um.

Im Jahr 1959 beschließt Günter Karkoska: „Nach Australien auswandern klingt gut“. Durch einen Bekannten erfährt er von dem Migrationsprogramm der australischen Regierung und im Dezember des gleichen Jahres besteigt er in Cuxhaven das niederländische Schiff „Groote Bear“ und erreicht im Januar 1960 Fremantle und somit Australien. Günter Karkoska nimmt verschiedene Arbeitsstellen zum Beispiel als sogenannte Farmhand an. Bei der Suche nach Mineralien lernt er 1965 Rosalie Cziesmann (genannt Rosie) kennen. Sie selbst hat als sogenannte Ungarndeutsche eine bewegte Migrations- und auch Lebensgeschichte. Rosalie Cziesmann erleidet in ihrer frühen Kindheit eine Polioerkrankung und muss in nationalsozialistischen Krankenhäusern in Stuttgart mehrjährige Operationen und Misshandlungen durchstehen, bis sie nach Australien auswandern kann. Aus dieser Zeit behielt sie ein verkürztes Bein und einen verkümmerten Fuß. Die beiden heiraten und bauen gemeinsam in der Stadt Mount Isa im Bundesstaat Queensland ein Haus. Rosalie Karkoska verstirbt nach langer Krankheit im Jahr 2000.

Günter Karkoska ist heute pensioniert, jedoch weiterhin häufig in Mount Isa beispielsweise auf dem regionalen Markt oder auch auf seinem allmorgendlichen 4 km langen Spaziergang anzutreffen.

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Bedeutung des Objektes

Die Schiene ist Teil des orthopädischen Schuhs, der für Rosalie Karkoska angefertigt wird. Dazu reist das Ehepaar Karkoska auf Hinweis von Bekannten nach Deutschland. Günter Karkoska bessert den Schuh immer wieder für seine Frau aus. Die Schiene steht nicht nur für die Eigenständigkeit und Ermächtigung von Rosalie Karkoska, die immer nach dem Motto „Don’t feel sorry for yourself“ lebt und mithilfe des Schuhs sogar Berge besteigt, sondern symbolisiert auch transnationale Verbindungen von Migrant:innen wie Günter Karkoska. Außerdem steht das Objekt für das gemeinsame Erlebnis und für das einander in schwierigen Situationen „eine Stütze“ sein.  

Haben auch Sie …

… eine Aus- oder Einwanderungsgeschichte Ihrer Familie zu erzählen und möchten diese mit den dazugehörigen Objekten und Dokumenten dem Deutschen Auswandererhaus für seine Sammlung übergeben? Dann kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Fittkau unter der Rufnummer 0471 / 90 22 0 – 0

oder per E-Mail unter: t.fittkau@dah-bremerhaven.de

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