Objekt des Monats

Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.

September 2021

Urkunde zum 25-jährigen Betriebsjubiläum bei der Firma Bosch für Giovanni Minutolo aus dem Jahr 2001

Material

Papier

Maße

31,7 cm x 23,6 cm

Schenkung

Giovanni Minutolo

Minutolo-Sammlung-Deutsches-Auswandererhaus

© Sammlung Deutsches Auswandererhaus

Anlässlich des Welttags der Dankbarkeit am 21.9.2021

Der Welttag der Dankbarkeit wird jedes Jahr seit 1977 am 21. September gefeiert und soll daran erinnern, dass alle Menschen Dinge im Leben haben, für die sie dankbar sein können. Zwar war die ursprüngliche Intention der UN, allen zu danken, die sich im Sinne der UN-Charta für den Geist der globalen Gemeinschaft eingesetzt haben, aber der Tag wird seit jeher von vielen genutzt, um ihren Mitmenschen zu zeigen, wofür sie ihnen dankbar sind.

Historische Einordnung

Von 1955 bis 1973 schließt die Bundesrepublik Deutschland Verträge mit anderen Staaten über die Anwerbung von Arbeitskräften ab. Die ausländischen Arbeitnehmer:innen sollen den hiesigen Arbeitskräftemangel decken. Bei abnehmender Nachfrage ist vorgesehen, dass sie wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren. So kommen im genannten Zeitraum rund 14 Mio. Arbeitsmigrant:innen in die BRD – von denen rund 11 Mio. wieder in ihr Herkunftsland zurückgehen. Etwa 3 Mio. werden dauerhaft bleiben.
Schon früh wird für die Arbeitsmigrant:innen auf Zeit die Bezeichnung „Gastarbeiter“ bzw. „Gastarbeiterin“ vorherrschend. Die Metapher des „Gastes“ mag dabei vor allem auf ihren (geplanten) nur zeitweiligen Aufenthalt zielen; aber mit ihr verbunden bleibt doch auch die Vorstellung, der „Gastgeber“ können von seinen „Gästen“ erwarten, dass sie die ihm erwiesene „Gastfreundschaft“ mit Dankbarkeit erwidern. Ganz im Sinne dieser Vorstellung erwartet ein Teil der deutschen Gesellschaft bis heute von den damals Gekommenen „Dankbarkeit“ für ihre Aufnahme – mögen dem auch teilweise jahrzehntelange Diskriminierungserfahrungen im Arbeits-, Wohn- oder Alltagsleben entgegenstehen, deren Folgen noch die nachkommenden Generationen verspüren. Insbesondere diese hier geborenen und aufgewachsenen Kinder und Enkel der Arbeitsmigrant:innen von damals verwahren sich heute dagegen, in einer Dankesschuld zu stehen. Unter den ehemaligen „Gastarbeiterinnen“ und Gastarbeitern“ selber haben die einen, trotz teilweise schlechter Erfahrungen, Gefühle der Dankbarkeit für den Staat, in den sie als junge Menschen gekommen sind; andere wiederum sehen keinen Bedarf für Dankbarkeit, weil sie noch immer für die Anerkennung ihrer Rechte auf Gleichbehandlung kämpfen müssen.

Kurzbiografie Giovanni Minutolo

Giovanni Minutolo wird 1957 in dem kleinen Örtchen Cariati Marina geboren. Er kommt 1967 als 10-Jähriger mit seiner Familie aus Italien in die Bundesrepublik nach Stuttgart. Seine Familie erhofft sich wie viele ihrer Landsleute ein besseres Leben im „Wirtschaftswunderland“. Doch die ersten Jahre sind für die Familie und Giovanni Minutolo nicht einfach. Schon als Kind muss er als ältestes von 7 Geschwistern arbeiten gehen, um seine Mutter zu unterstützen. Darunter leidet seine Schulausbildung. Während dieser Zeit erfährt er die Schattenseiten des sogenannten „Gastarbeiterlebens“ in der Bundesrepublik; schlecht bezahlte und gefährliche Tätigkeiten wie auch Diskriminierung und Rassismus im Alltag prägen seine Jugend. Trotzdem findet Giovanni Minutolo später eine gute Ausbildungsstelle und besucht die Abendschule, die ihm neue Möglichkeiten in Deutschland eröffnet. Am 8.11.1976 beginnt er bei Bosch auch ohne Schulabschluss eine Tätigkeit als Arbeiter. Innerhalb weniger Jahre schafft er es vom Einsteller hin zum Gruppensprecher. Im Laufe seiner 43-jährigen Karriere bei Bosch arbeitet er sich immer weiter nach oben, geht für die Firma ins Ausland, in Länder wie Brasilien und Spanien. Nach all seinen schlechten Erlebnissen, die er bis dahin in Deutschland gemacht hat, ist er heute mit seinem Leben zufrieden:

„Ich bin Deutschland dafür dankbar, … auch wenn die ersten 10 Jahre sehr hart für mich und meine Eltern waren.“

Bedeutung des Objekts

Mit der Urkunde zum 25-jährigen Betriebsjubiläum bezeugt das Unternehmen seinem jahrzehntelangen Mitarbeiter Giovanni Minutolo seine Dankbarkeit – förmlich, in standardisierter Weise. Das mag unpersönlich wirken, überstrapaziert so aber wenigstens nicht die eigentlich auf persönlicher, zwischenmenschlicher Ebene angesiedelte „Tugend“ der Dankbarkeit für die abstrakte, juristisch-ökonomische Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Und kann auch nicht den enormen emotionalen Wert vergessen machen, den diese Urkunde für ihren Empfänger hat. Schon allein aufgrund der einfachen Tatsache, dass hier die Dankbarkeit einmal von der Seite eines deutschen Unternehmens ausgesprochen wird. In diesem Sinne einer Umkehrung der erwarteten Dankbarkeits-Bekundung hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Festakt zum 60. Jahrestag des ersten Anwerbeabkommens den ehemaligen „Gastarbeiterinnen“ und „Gastarbeitern“ ein „herzliches Dankeschön für all das, was Sie für unser Land getan haben“ ausgesprochen.

Haben auch Sie …

… eine Aus- oder Einwanderungsgeschichte Ihrer Familie zu erzählen und möchten diese mit den dazugehörigen Objekten und Dokumenten dem Deutschen Auswandererhaus für seine Sammlung übergeben? Dann kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Fittkau unter der Rufnummer 0471 / 90 22 0 – 0 oder per E-Mail unter: t.fittkau@dah-bremerhaven.de

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