KFZ-Kennzeichen, Illinois, 1963

Rita Bendler wird 1957 als einziges Kind von Ursula und Günter Matschke in Berlin geboren. Die Eltern reisen viel und gerne. Die Entwicklung in Deutschland macht den beiden jedoch zunehmend zu schaffen. Die Auftragslage für Vater Günter, einem Werkzeugmacher, ist schlecht. 1961 beginnt der Mauerbau, ihre Heimatstadt ist fortan geteilt. 1962 entschließen sie sich in die USA auszuwandern. Eine Schwester von Mutter Ursula hatte das bereits einige Jahre zuvor erfolgreich unternommen und verspricht Unterstützung. Mit der „Bremen“ reist Familie Matschke 1962 von Bremerhaven nach New York, mit der Bahn geht es weiter nach Chicago. Für die vierjährige Rita ist alles spannend, schnell lebt sie sich in Amerika ein und findet dort im Kindergarten neue Freunde. Mutter Ursula hingegen findet, da sie kaum Englisch spricht, zunächst keine Arbeit. Der Job als Verkäuferin, den sie schließlich annimmt, füllt die junge Frau nicht aus. So engagiert sie sich in der Freizeit für den deutschen Verein „Berliner Bären“. Sie ediert die Vereinszeitung, organisiert Feste und Veranstaltungen, lernt neue Bekannte kennen – dennoch fühlt sie sich unwohl in Amerika. Als ihr Vater in Deutschland an Lungenkrebs erkrankt, kehrt die Familie 1966 zurück. Für die neunjährige Rita eine folgenreiche Entscheidung: Sie muss ihre Freunde in Chicago zurücklassen und in dem kleinen Dorf in der Nähe von Braunschweig, in das ihre Eltern mit ihr ziehen, lebt sie sich nur schwer ein. Nach der Schulzeit studiert sie in Göttingen Kunstgeschichte, lernt dort ihren Mann Thilo kennen, der ebenfalls einige Zeit in den USA gelebt hatte. Heute pendeln Rita und ihr Mann „zwischen den Welten“ – herzliche Bindungen ziehen das Ehepaar alle sechs Monate zurück in die USA. Das KFZ-Kennzeichen aus Illinois ist ein Alltagsgegenstand aus dem Jahr 1963. Es gehörte zum ersten eigenen Auto der Familie in den USA, einem blauen VW-Käfer, auf dessen Besitz Ritas Eltern stolz waren, und ist eine Kindheitserinnerung an ein Land, dem sie sich bis heute verbunden fühlt.
bendler-rita-2

© Sammlung Deutsches Auswandererhaus, Schenkung Rita Bendler

Notensatz, 1965

Die „Berliner Bären“ sind ein deutscher Verein in Chicago, wie es ihrer viele in den USA gegeben hat und zum Teil noch gibt. Die Blütezeit des von deutschen Einwanderern betriebenen Vereinswesens ist freilich das 19. Jahrhundert. Den fremden Neuankömmlingen bieten die Vereine ein soziales Netzwerk – das als Jobbörse, Heiratsmarkt und Umschlagplatz für Informationen ebenso genutzt wird wie als Rückzugsraum aus der amerikanischen Arbeitswelt. Im Verein wird Deutsch nicht nur gesprochen – man pflegt dort auch das deutsche Liedgut. Die nach heimatlichem Vorbild gegründeten Gesangsvereine sind schon bald über ganz Amerika verbreitet. Bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es so viele, dass in den 1850ern zwei Dachorganisationen geschaffen werden: im Westen der „Nord-Amerikanische Sängerbund“, im Osten der „Allgemeine Deutsche Sängerbund von Nordamerika“. Ihre Hauptaufgabe ist die Organisation der „Sängerfeste“, den mehrere Tage währenden Preissingen mit Volksfestcharakter, die in zunächst jährlichen, später unregelmäßigen Abständen in verschiedenen Städten des Landes stattfinden. Gesungen wird nicht nur klassische Chormusik, auch Volkslieder und – tänze stehen auf dem Programm und Märsche.
bendler-rita-matschke-1

© Sammlung Deutsches Auswandererhaus, Schenkung Rita Bendler

Kategorien

Alltag

Gedanken und Gefühle

Rückkehr

Identität

Chancen

Freiheitswunsch

Sicherheitsbedürfnis

Auswanderung

Einwanderung

1946–1989